Wollen die Grünen wirklich Einfamilienhäuser verbieten?

Liebe Freund*innen,

wahrscheinlich habt ihr in den letzten Tage die Debatte zur Wohnungspolitik mitbekommen, in der aufgrund eines Spiegel-Interviews mit Toni Hofreiter behauptet wird, die Grünen forderten das Verbot von Einfamilienhäusern. Diese Behauptung ist falsch – der Spiegel-Tweet, der diese Aussage beinhaltete, wurde bereits vom Spiegel selbst wegen Irreführung gelöscht.
Die eigenen vier Wände sind für viele Menschen wichtig – dazu gehört auch das Einfamilienhaus. Das wird es auch in Zukunft geben – so wie Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser, Mietshäuser. Was aber wo steht oder gebaut wird, entscheiden die Kommunen vor Ort – je nachdem, was im Dorf oder der Stadt nötig ist, wie viel Fläche da ist, wieviel Leerstand es gibt und was gut in den Ort passt. Alle wissen: Wohnraum ist vielerorts knapp, Flächen sind endlich, Mieten und Immobilienpreise sind explodiert. Deshalb ist unser Ziel, dass Menschen aus der Breite der Gesellschaft in Stadt und Land guten und bezahlbaren Wohnraum finden und dass so gebaut wird, dass Klima und Umwelt geschützt werden.
Wir unterstützen den Erwerb von Wohneigentum, setzen uns für günstige Mieten ein und fördern auch Sanierungen und ökologisches Bauen. Eine Übersicht unserer parlamentarischen Initiativen dazu finden Sie hier.

In Absprache mit DER SPIEGEL stellen wir das Interview von Anton Hofreiter hier im Wortlaut zur Verfügung (Quelle: DER SPIEGEL 7/2021):

SPIEGEL: Herr Hofreiter, sind Sie in einem Haus mit Garten aufgewachsen?

Hofreiter: Ja, als Kind war das sehr schön, wir waren nur weit weg von der S-Bahn.

SPIEGEL: In Hamburg-Nord hat ein grüner Bezirksamtsleiter dafür gesorgt, dass es keine Einfamilienhäuser mehr in neuen Bebauungsplänen gibt. Wollen die Grünen die eigenen vier Wände verbieten?

Hofreiter: Angesichts der dramatischen Wohnungsnot und der Tatsache, dass Boden endlich ist, hat Hamburg-Nord entschieden, Wohnraum für viele statt für wenige zu schaffen. Dass Kommunen entscheiden, was bei ihnen sinnvoll ist, ist jahrzehntelange Praxis in unserem Land und verantwortungsvolle Politik.

SPIEGEL: Sie haben die Frage nicht beantwortet.

Hofreiter: Natürlich wollen die Grünen nicht die eigenen vier Wände verbieten. Die können übrigens sehr verschieden aussehen: Einfamilienhaus, Reihenhaus, Mehrfamilienhaus, Mietshaus. Wo was steht, entscheidet allerdings nicht der Einzelne, sondern die Kommune vor Ort.

SPIEGEL: Warum kann aber jemand, der in Hamburg-Nord ein Grundstück kauft, dort kein Einfamilienhaus bauen, wo schon solche Häuser stehen?

Hofreiter: Das kann er – auch in Hamburg-Nord. Dort, wo ein gültiger Bebauungsplan solche Häuser ausweist. Anders ist es, wo neue Baugebiete entstehen. Wohnraum ist auch in Hamburg knapp. Um für alle bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, müssen die wenigen Flächen, die es gibt, bestmöglich genutzt werden. Das ist eine zentrale soziale Frage, gerade in unseren Großstädten. Wie viele Einfamilienhäuser stehen in Berlin-Mitte? Kaum eines. Als ich Gemeinderat in Sauerlach war, haben wir im Ortskern ein Gebiet ausgewiesen, da kam kein einziges Einfamilienhaus hin. Bürgermeister war ein CSU-Mann. Deswegen jetzt zu sagen, die CSU habe das Einfamilienhaus verboten, wäre albern.

SPIEGEL: Wir halten fest: Sie finden es nicht prinzipiell falsch, Einfamilienhäuser nicht zu genehmigen.

Hofreiter: Mir geht es nicht um Prinzipien, sondern um Lösungen, die funktionieren. Städtischer Raum ist nicht vermehrbar. In Hamburg kostet ein allein stehendes Haus im Schnitt über 800 000 Euro. Wenn Kommunalpolitiker sagen, wir wollen uns darum bemühen, dass normale Menschen mit einem Durchschnittseinkommen sich künftig auch eine Wohnung leisten können, kann man das diskreditieren, aber ich finde, da blickt man sehr herab auf Menschen mit normalem Gehalt.

SPIEGEL: Es gibt einen Parteitagsbeschluss von 2019, der vorrechnet, wie viel Sand und Kies ein Haus verbraucht. Im Wahlprogramm von Baden-Württemberg werden Einfamilienhaussiedlungen kritisch erwähnt. Skepsis scheint unter Grünen weit verbreitet.

Hofreiter: Natürlich, weil wir uns um unsere Lebensgrundlagen und den sozialen Zusammenhalt sorgen. Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr. Wir leben in Zeiten der Klimakrise und des Artensterbens. Die Bundesregierung hat beschlossen, den Flächenverbrauch von 60 Hektar am Tag auf 30 Hektar am Tag zu reduzieren, bis jetzt ziemlich erfolglos. Immer mehr fruchtbarer Boden wird zugebaut, wogegen Bauern protestieren. In den Städten haben wir eine gigantische Wohnungsnot und explodierende Preise. Andererseits verfallen manche Dörfer. Fast zwei Millionen Wohnungen stehen leer. Der Wert von Häusern dort rauscht in den Keller. Alles zugleich.

SPIEGEL: Welche Rolle kann das Einfamilienhaus also künftig spielen? Und wer entscheidet das?

Hofreiter: Das wird von Region zu Region, von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Man muss den Kommunen die Möglichkeit geben zu entscheiden.

SPIEGEL: Das Wuppertal Institut hat in einer Studie für Fridays for Future festgestellt, dass der Anstieg der Quadratmeterzahl pro Kopf gestoppt und umgekehrt werden müsste, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Fordern Sie das auch?

Hofreiter: Ich finde es schwierig, Dinge zu fordern, die man politisch nicht umsetzen kann. Aber es ist gut, dass Fridays for Future das problematisiert. Aufgabe der Politik ist es, für 100 Prozent erneuerbare Energien und klimaneutrale Gebäude zu sorgen. Politik muss den Rahmen setzen – wie jemand wohnt oder welches Fahrzeug er fährt, entscheidet jeder für sich.

SPIEGEL: Wie sähe die ideale, nachhaltige grüne Stadt aus? Und wie das grüne Dorf?

Hofreiter: Ideal sind Orte mit lebendigen Zentren und kurzen Wegen. Orte, an denen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen gemischt sind. Mit ausgebautem Bus- und Bahnverkehr, fahrradfreundlich, fußgängerfreundlich, mit weniger Raum fürs Auto, unterschiedlichen Wohnformen ohne Segregation. Das gilt für Städte wie für Dörfer.

SPIEGEL: Das alles wird schwer, wenn alle weiter auf der grünen Wiese ihr Häuschen mit Garten bauen.

Hofreiter: Das kann man ja nicht bestreiten. Es gibt Ressourcenkonkurrenz. Entscheidend ist, dass Kommunen die Möglichkeiten bekommen, dagegen anzugehen. Aktuell ist es sehr leicht, am Ortsrand neue Baugebiete auszuweisen, und schwer, das im Zentrum zu tun, selbst wenn dort viel leer steht. So entstehen Donut-Dörfer, außen prall, innen hohl, mit Siedlungen am Rand und einer kaputten Tankstelle als traurigem Rest im Kern. Daran hat aber kein Gemeinderat Interesse, deshalb geht die Politik dagegen vor, wenn man ihr die Möglichkeit gibt. Viele Bürgermeister, auch aus der CDU oder der CSU, sagen mir, sie brauchen mehr Rechte.

SPIEGEL: Um was zu tun?

Hofreiter: Um Baulücken zu schließen und Brachflächen zu nutzen. Ich finde es richtig, dass die Gemeinde im Notfall auch enteignen darf, wenn Besitzverhältnisse unklar sind oder sich Erbengemeinschaften streiten und deshalb ein Dorfkern verödet oder Wohnraum nicht geschaffen werden kann.

SPIEGEL: Manche Menschen wollen unbedingt ein eigenes Haus bauen. Wie wollen Sie das ändern?

Hofreiter: Um alte Häuser attraktiver zu machen, brauchen Kommunen mehr Zuschüsse, damit sie helfen können, die Gebäude auf Vordermann zu bringen. Das können sich viele sonst gar nicht leisten, gerade wenn der Denkmalschutz dazukommt. Was jammerschade ist.

SPIEGEL: Es brauchte also eher ein reines Kaufkindergeld als das Baukindergeld der Bundesregierung?

Hofreiter: Das wäre schon weniger schlecht, aber ich halte es grundsätzlich für einen Fehler, das Besitzen von Wohnraum so unkonditioniert staatlich zu finanzieren, das erzeugt teure Mitnahmeeffekte. Angesichts der Nöte in Städten sollte man das Steuergeld erst einmal verwenden, um bei den Mieten Abhilfe zu schaffen oder Flachbauten mit bezahlbaren Wohnungen aufzustocken. Auf dem Land wäre es wichtig, den Leerstand mit Leben zu füllen. Mit so einer zielgenauen Förderung kann man auch Käufern helfen.

SPIEGEL: Gehört die Zukunft eher der Miete als dem Eigentum?

Hofreiter: Ich will das nicht entscheiden. Aber selbst wenn es gelingt, die Preissteigerungen zu bremsen, ist Wohneigentum in der Stadt für die allermeisten Menschen unerschwinglich. Dafür brauchte man eine wirklich völlig andere Lohnstruktur. Die Hälfte der Menschen in Städten wie Berlin oder Hamburg verdient so wenig, dass sie Anspruch auf eine Sozialwohnung hat. Auf dem Land ist das etwas anderes.

SPIEGEL: Menschen verstehen das Eigenheim auch als Sicherheit für die Rente. Müssen sie sich davon verabschieden?

Hofreiter: Da muss man unterscheiden: In den boomenden Städten werden die Wohnungspreise nicht verfallen, da kann es allenfalls gelingen, den Preisanstieg zu bremsen. In anderen Regionen gibt es das Problem aber schon seit Jahren massiv. In schrumpfenden Gegenden verlieren die Häuser an Wert. Das Haus als Rentengarantie ist dort ein gefährlicher Mythos.

SPIEGEL: Die Grünen wollen Wähler der Union gewinnen, reden aber über Verbote von Wohneigentum oder Ölheizungen oder über Enteignungen. Kann das funktionieren?

Hofreiter: Wir stecken in der Klimakrise. Da kann nicht alles bleiben, wie es war. Unsere Aufgabe ist es, realistisch sozial gerechte Wege aus der Klimakrise aufzuzeigen. Die Wirklichkeit zu ignorieren, das geht für keine Partei mehr auf.

SPIEGEL: Bausparvertrag und Eigenheim sind für viele jedoch Heiligtümer. Warum sagen Sie in einem Wahljahr nicht, dass sie das bleiben können?

Hofreiter: Weil ich dann versprechen müsste, was ich nicht für alle überall halten kann. Ich kann und will den Kommunen ihr Planungsrecht nicht wegnehmen. So einen Zentralismus lehne ich ab.

SPIEGEL: In Hamburg-Nord sind sich Grüne und SPD über die Entscheidung zum Einfamilienhaus einig. Hängen bleibt es aber an den Grünen. Droht Ihnen ein zweites Veggie-Day-Fiasko wie 2013, als die Grünen vorschlugen, einen vegetarischen Kantinentag einzuführen, und im Wahlkampf dann als Verbotspartei galten?

Hofreiter: Die Klimakrise droht unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Eins der größten sozialen Probleme ist mangelnder Wohnraum in den Städten. In vielen Ortskernen auf dem Land herrscht Leerstand. Man sollte das ernsthaft diskutieren. Sonst haben wir als Gesellschaft keine Chancen, die Probleme in den Griff zu kriegen.

Quelle: DER SPIEGEL 7/2021

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.